Wenn wir träumen dürften… Wie sollte Schule sein? In ihrer Blogparade Schule anders denken lädt Gabriella Rauber, Sekundarlehrkraft und Schreibtrainerin, dazu ein genau dies zu tun und Schule neu zu denken. Da fällt mir soviel ein, dass ich ganze Bücher damit füllen könnte. Als Erwachsene orientiere ich mich daran, was Kinder brauchen und wie Lernen funktioniert, um mich dem zu nähern, wie Schule neu gedacht werden sollte. Doch was für eine Schule hätte ich ganz persönlich mir als Kind gewünscht – oder mehr noch: was für eine Schule hätte ich gebraucht?
Mein Märchen von der glücklichen Schulvergangenheit
„Ich bin als Kind gern in die Schule gegangen.“
Diesen Satz habe ich so oft gesagt, dass ich ihn nie hinterfragt habe. Er war meine Wahrheit. Erst seit ich Kinder habe denke ich anders darüber, denn gut ging es mir in der Schule definitiv nicht. Dass ich das mehrere Jahrzehnte lang kein bißchen gesehen habe ist….erstaunlich. Und es erklärt gleichzeitig, wieso sich so wenig verändert in den Schulen. Denn es geht ja nicht nur mir so – wir alle blicken auf eigene Schulvergangenheiten und auf Schulen heute und sehen oft oder zu lange nicht, dass es längst nicht allen Kindern gut geht und das nicht daran liegt, dass sie sich nicht genug anstrengen – sondern weil das System ist wie es ist. Wir sehen es nicht, weil wir gelernt haben, dass es dazugehört und normal ist, was an großer und kleiner Gewalt im Setting Schule passiert. Wir glauben, dass wir nicht Schule sondern uns selbst verändern müssen, dass es mehr darum geht unsere Gefühle und Bedürfnisse zurückzustellen und zu lernen klar zu kommen, zu überleben. Dass dies nicht ohne Folgen bleibt und keine gute Idee ist, wenn wir wollen, dass Kinder physisch und psychisch gesund aufwachsen, wissen wir längst. Kinder, denen es nicht gut geht spalten diese Gefühle womöglich, wie ich es wahrscheinlich getan habe, ab – oder sie werden „auffällig“ und schwierig. Zu welchen gehörtest du?
Was Kinder in der Schule basically brauchen
Was jedes Kind braucht, um sich gut aufgehoben zu fühlen und um gut lernen zu können (und um diese beiden Themen geht es hauptsächlich) ist sehr individuell. Raum für diese Individualität hat Schule nicht und darauf beharren viele Menschen mit der These, dass sonst alles drunter und drüber gehen würde. Doch ich spreche hier nicht von Individualität im Sinne von rücksichtsloser Selbstverwirklichung, sondern davon, dass Basis Bedürfnisse, Nervensystemzustände und entwicklungspsychologische wie neurowissenschaftliche Grundlagen Beachtung finden. Denn Lernen und Entwicklung kann dann passieren, wenn unser Nervensystem uns meldet, dass wir in Sicherheit sind und wenn wir motiviert genug sind. Es geht also einerseits darum zu sehen, was das Nervensystem des jeweiligen Kindes gerade benötigt, dass es in einem Zustand ist, in dem es überhaupt aufnahmefähig ist und andererseits um gute Beziehung als Grundlage von Kontakt, Lernen und Motivation.
Was hätte ich gebraucht?
Denke ich heute an mich zurück und versuche den Mantel meines glücklichen Schulmärchens zu lüften sehe ich ein Kind, das sehr viel anders gebraucht hätte an einem Ort, der ja quasi wie ein zweites zu Hause ist, weil wir viele Stunden unseres Lebens dort verbringen. Beantworte ich die beiden Basis Bedingungen muss ich klar sagen, dass es für mich weder sicher war noch Lehrpersonen einen stabilen Beziehungsraum schufen. Wie hätte ein guter Ort für mich aussehen sollen? Was hätte anders sein dürfen?
Willkommen-sein
Als allererstes hätte ich mich gern willkommen gefühlt. Es ist nicht so, dass ich mich direkt unwillkommen fühlte (viele Kinder erleben sicher deutliche Ablehnung, weil sie „stören“ oder ansonsten „auffallen“) – doch eben auch nicht willkommen.
Eine unter vielen sein – unsichtbar werden – ist für Menschen, wie mich, die nicht gern im Mittelpunkt stehen, als schüchtern gelten und später vielleicht ihre Neurodivergenz entdecken etwas, das tendenziell gut ist. Bloss nicht auffallen.
Doch das Gegenteil von nicht auffallen ist nicht ungesehen sein und bleiben. Was hätte es wohl mit mir gemacht, wenn ich jeden Tag verlässlich das Gefühl vermittelt bekommen hätte, dass da eine Lehrkraft (und noch besser ein ganzes Klassengefüge) ist, die (das) sich freut, dass ich da bin und mir das Gefühl gibt, dass ich so wie ich bin eine Bereicherung für sie und die Klasse sein kann – ohne, dass ich etwas leisten muss – einfach dadurch, dass ich bin wie ich bin. Ob mit guten oder schlechten Noten, ob leise und zurückhaltend oder expressiver.
Wie soll sich ein Kind willkommen fühlen? Kleinigkeiten können einen großen Unterschied machen. Vielleicht kennst du ein virales Video wie das, in der eine Lehrkraft jedes Kind einzeln vor der Klasse begrüßt und zwar so, wie das Kind es sich wünscht: per Handschlag, Winkend, mit einer Umarmung oder mit einem kleinen Tänzchen. Es funktioniert schon, wenn das, außer, dass es nett anzusehen ist, wirklich eine gelebte und spürbare Haltung ist, die die Lehrperson einnimmt. Sie muss dafür nicht mit den Kindern tanzen. Wenn sie vom Lehrstoff weg jedes Kind willkommen heißen kann und es das spüren lässt genügt das. Das braucht nichts großes oder langwieriges – selbst diese Videosequenzen mit der persönlichen Begrüßung dauern vielleicht 3 Minuten – was es aber braucht ist Kontinuität. Jeden Tag gelebte Wirklichkeit. Jeden Tag mit dem Namen begrüßt werden. Wohlwollen erfahren. Beziehung aufbauen. Vertrauen schaffen. Was würde sich dadurch wohl verändern können für so viele Kinder. Was hätte es mir ermöglicht? Vielleicht hätte etwas von meiner Unsicherheit, von meiner Schüchternheit einem Vertrauen, dass ich mich zeigen darf gewichen. Und vielleicht hätte ich mich als Mensch so angenommen gefühlt, dass es mir etwas von dem Selbstwert geschenkt hätte, den ich gut hätte brauchen können. Wer weiß.
Raum für „Anders-sein“
Ein Kind wirklich sehen bedeutet auch zu erkennen, wenn es etwas anderes braucht, um gut da sein und lernen zu können. Es heißt auch soviel Interesse daran zu haben, dass es ihnen gut geht in diesem gemeinsamen Lern-Raum, dass es wichtig genug ist, um Dinge anders zu machen. Es heißt auch Neurodivergenz und (besondere – und eigentlich alle) Bedürfnisse mitzudenken. Es bedeutet zu experiementieren, was für dieses Kind gut funktioniert, was ihm helfen könnte.
Raum für Indiviualität bedeutet dabei wie gesagt nicht, dass Grenzen von anderen überschritten werden. Es bedeutet im ersten Schritt neugierig zu sein, wie das Nervensystem eines Kindes funktioniert. Was es überfordert, was vielleicht zuviel ist und weniger sein sollte und was es inspiriert und wovon es vielleicht mehr brauchen könnte. Zum Beispiel ist für viele neurodivergenten Kinder Lautstärke ein Thema und eine mögliche Lösung können Schallschutzkopfhörer sein oder auch die Erlaubnis per Kopfhörer leise Musik zu hören. Es bedeutet Rollenbilder und Erwartungen abzulegen und sich von abwertenden Zuschreibungen wie Träumerchen, Sensibelchen, Luftikus, Klassenclown, Zappelphilipp zu verabschieden. Keine davon wird einem Kind gerecht. Und keine davon wird ein Kind unterstützen gute Strategien zu entwickeln, sich zu regulieren, zu konzentrieren oder zu motivieren. Ganz im Gegenteil. Sie zementieren und bilden etwas, das Kinder fortan zu ihrer Realität machen.
Viele Gruppensituationen waren für mich zum Beispiel viel zu unübersichtlich, zu bedrohlich, als dass ich in ihnen gut hätte funktionieren können. Wenn alle Kinder gleichzeitig nach vorne laufen sollten, um sich am Lehrertisch etwas für den Kunstunterricht auszusuchen blieb ich stehen und wartete, bis die Wege so frei waren, dass ich als letzte oder vorletzte zwischen den übrig gebliebenen Dingen wählen konnte. Wenn erwartet wurde und in die Note einfloss, dass Kinder sich aktiv von sich aus am Unterricht beteiligen sollten war das immer etwas, was mich derart unter Streß setzte, dass ich erst recht verstummte.
Wie sehr hätte es mir vielleicht geholfen, wenn die Lehrkraft statt vorne zu dozieren durch die Klasse gelaufen wäre und sich für jedes Kind einen kleinen Moment hätte Zeit nehmen können, um in Austausch zu gehen. Oder wenn geschützte Bereiche für Kleingruppen geschaffen worden wären – am Besten mit Stellwänden oder Möbeln dazwischen, so dass es sich wirklich sicher anfühlt. Wenn es ok gewesen wäre, wie es heute an einigen Montessori Schulen praktiziert wird, dass ein Aufstehen, Pause machen, Situationen verlassen oder sich einen guten eigenen Ort fürs Arbeiten suchen erlaubt und sogar erwünscht gewesen wäre? Was würde sich wohl verändern für alle Kinder, wenn sie dazu ermuntert würden zu spüren, wo und wie sie sich so wohl fühlen, dass sie sich konzentrieren und gut teilnehmen können. Sie würden ein Gefühl bekommen dafür, was hilfreich für sie ist beim Lernen und was sie eher ablenkt und behindert. Sie würden ein Gefühl für ihre Grenzen und Möglichkeiten bekommen und lernen auf sich selbst gut zu achten.
Ja, ich hätte mir Räume gewünscht, in denen Anderssein kein Makel ist, sondern Bereicherung für alle darstellen kann. Wenn das gelebte Wirklichkeit ab der ersten Klasse wäre – wie sehr würde das btw dazu beitragen, dass Kinder mit der Selbstverständlichkeit aufwachsen, dass jeder Mensch gut und perfekt ist wie er ist. Dass es ok ist, wenn jeder Mensch auf sich achtet, dass nicht alle gleich funktionieren. Könnte das nicht sogar Diskriminierung, Ableismus und Ausgrenzung entgegenwirken?
Neugierde fördern statt Notendruck: Von der Bewertung und persönlicher Abwertung zu Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl
Jahrelang immer wieder zu erfahren ich bin nicht gut oder nicht gut genug hat nicht gerade dazu geführt, dass ich mit einem gesunden Selbstvertrauen oder Selbstbewusstsein durchs Leben gehe. Am Ende der Schule stehen nicht wirklich viele mit einem sogenannten growth mindset und erobern sich die Welt. Ich zumindest nicht. Ich fühlte mich klein, unwichtig, nicht gut genug. Und besonders weiblich sozialisierte Personen können damit vielleicht noch leichter Opfer werden. Direkt in meinem ersten Job war ich sexueller Belästigung ausgesetzt gegen die ich mich nicht wehren konnte. Wie sollte ich auch. Später erlebte ich wie wenig gleichberechtigt Männer und Frauen im Berufsleben waren. Und ich blieb klein und stumm. Ich hatte nie gelernt an mich und meine Fähigkeiten zu glauben oder für mich einzustehen. Ich hatte gelernt leise zu sein und zu glauben, was andere mir über mich erzählten. So versuchte ich lange noch mehr zu arbeiten und zu leisten, zu beweisen, dass ich genauso gut war. Ich studierte und machte eine Fortbildung nach der anderen auf der Suche nach dem Gefühl irgendwann gut genug zu sein. Doch Überraschung: dieses Gefühl taucht nicht auf, egal wieviele Zertifikate du besitzt.
Das System von Bewertung und Noten erzeugt Druck. Es verhindert sich frei und neugierig mit Themen auseinandersetzen zu können, weil alles immer unter Beobachtung und Bewertung steht. Menschen wollen lernen. Kinder sind neugierig. Die Art und Weise, wie Wissen vermittelt wird und mit welcher Haltung wir auf Kinder schauen dabei sollte anders und flexibler sein. Statt von außen zu diktieren und vorzugeben wäre es toll, wenn Schulen diese Neugierde erhalten oder wieder erwecken würden. Ja, das bedeutet möglicherweise nicht Unterricht nach Schema F mit einem Tafelbild und Vortrag, sondern gemeinsam mit den Kindern herausfinden, wie sie sich einem Thema nähern wollen.
Eher in Projekten als in Fächern zu denken. Vorhaben der Kinder umzusetzen und nebenbei mathematische und andere Kenntnisse vermitteln und Fähigkeiten trainieren. Um etwas einfaches wie Kuchen backen zu können braucht es die Fähigkeit REzepte zu lesen, Einkaufszettel zu schreiben, mit Geld umgehen zu können. Wenn wir die 1,5 fache Menge backen wollen, wieviel Mehl brauchen wir dann? Ein einfaches Beispiel und sicher erweiterbar in alle Richtungen. Und nein, nicht jeder Moment an Schule müsste so aussehen. Aber er könnte…. 🙂
Wenn Lehrkräfte sich als Beobachter*innen verstehen würden, die während des Jahres einsammeln, was ein Kind an Entwicklung durchmacht, statt bewerten zu müssen, dass der Baum im Kunstunterricht nicht mit den richtigen Farben ausgemalt worden ist (ja, sowas passiert im Kunstunterricht) oder wie in meinem Fall eine modellierte Maske eines Monsters die Vorstellung der Lehrkraft nach Hässlichkeit nicht erfüllte und das Kind unglücklich mit einer schlechten Note nach Hause geht.
Wie sehr würde es wohl Problemlösungskompetenzen und Kreativität fördern, wenn statt vorgegebener Lösungswege und Schema F ein gemeinsames herangehen, herausfinden und Neugierig bleiben mit dem Verständnis, dass Fehler machen zum Weg des Lernens dazugehört und sie sogar begrüßt werden als Grundlage gemeinsamen Lernens in Schulen stattfinden würden? Wenn Kinder keine Angst vor Fehlern haben müssten, wenn sie ermutigt würden eigene Lösungswege zu finden, sich Themen und Wissensgebiete „zu erobern“. Eine Fähigkeit, die im späteren Leben nur hilfreich sein kann…
Stärken statt Schwächen und Defizite
Unmittelbar daran schließe ich dieses Thema an. Nicht nur, dass Notendruck und Bewertung die Neugier und das Vertrauen in sich selbst untergräbt. Schule ist System, in dem es um Defizite geht – nicht um Stärken. Es geht nicht darum Kinder in dem zu fördern, was sie gut können und dabei zu begleiten sich andere Themen zu erschließen, es geht darum Defizite aufzuzeigen und zu erwarten, dass sie ausgebügelt werden.
Wie gut das funktioniert? Das lässt sich unterschiedlich betrachten. Ich konnte einige „Defizite“ im Lauf meines Schullebens „ausbügeln“. Die ersten Jahre bekam ich nur 5er im Englisch Unterricht. Drei Jahre später war ich Klassenbeste. Doch bis heute traue ich mich kaum Englisch zu sprechen. Ich habe verinnerlicht, dass ich nicht gut bin – und: dass es nur ok ist sich mit etwas zu Wort zu melden, wenn es 100%ig richtig ist. Ein nah dran oder ja fast richtig freut keine Lehrkraft. Also lieber nichts sagen, oder?
Was uns in der Schule über uns und unsere Fähigkeiten erzählt wird, wird zu Glaubenssätzen über uns selbst. Ich glaube auch immer noch, dass ich schlecht in Mathe und Sport bin. Weil es mir jahrelang erzählt worden ist. Mit Noten. Mit Worten. Mit dem Rotstift. Ist irgendetwas davon wahr? Heute sage ich nein. Vom Schulsport-Versagerin zur Yogalehrerin und Tänzerin wurde ich erst als junge Erwachsene. Wäre es möglich gewesen differenzierten Sportunterricht anzubieten, die Möglichkeit zu entdecken, wo meine individuellen Stärken liegen hätte ich nicht jahrelang über mich gesagt ich bin unsportlich und unfähig. Wer nicht in das Schulsport Schema passt: offensiver Gruppensport, für den eine gewisse Aggressivität durchaus von Vorteil ist oder Leichtathletik, hat schlechte Karten ein gutes Körpergefühl zu entwickeln oder vermittelt zu bekommen.
Genauso blieb mir das „ich bin schlecht in Mathe“ stärker als der Teil, der weiß, dass ich die beste Abschlussarbeit der Schule geschrieben habe und in den letzten beiden Schuljahren fast ausnahmslos 1er schrieb. Doch meine Mathelehrerin hielt mich bis dato für „Minderbegabt“ und „hoffnungslos“. Später glaubte sie wohl an ihre eigenen Lehrfähigkeiten – dass ich ein halbes Jahr Nachhilfeunterricht bekam bei einer Frau, die es im 1:1 Kontakt verstand Dinge auf eine ganz andere Weise und so zu erklären, dass es endlich Sinn ergab für mich und es gleichzeitig verstand mein Interesse und meine Motivation zu wecken mich danach selbst unterrichten zu können, bleibt unsichtbar. Ich hätte nicht anders lernen können – ich brauchte einen Menschen, der in der Lage war, andere Wege des Erklärens zu nehmen, der sich Zeit nahm eine Beziehung zu mir aufzubauen und mich zu ermutigen.
Wie anders hätte es sein können, wenn nicht nur andere Wege der Vermittlung angeboten würden, sondern wenn der Rotstift einem Grünstift weichen würde. Einem, der die Stärken der Kinder in den Vordergrund rückt und ihnen zeigt, was sie jetzt schon können und sie damit ermutigt statt demotiviert. Und wie viele begnadete Künstler gibt es, die diese Fähigkeit gar nicht entdecken oder pflegen können, weil es nicht genügend Raum dafür gibt und sie daran arbeiten sollten besser in Geschichte zu werden.
Soziales Miteinander: Begleitung statt unkontrolliertes Laufenlassen
Seien wir ehrlich. 30 Kinder in eine Klasse zu werfen – oder im Pausenhof zig Klassen zusammenkommen lassen. Das gleicht eher einem sozialen Experiment als dass es soziale Kompetenz lehrt. Denn das, was fehlt ist die Begleitung dabei. Was fehlt ist, dass gemeinsame Einsortieren von Verhalten und Lösungen finden für Differenzen. Was fehlt ist vielleicht auch das Verantwortungsbewusstsein der Erwachsenen in diesem Setting. Ja, Kinder dürfen lernen Dinge untereinander auszumachen und es geht nicht darum, dass sie „Helicopter“ Begleitung brauchen. Doch seien wir ehrlich. Sehen wir uns an, wieviel Mobbing passiert, wie viele Kinder sich unverstanden fühlen, wie viele Kinder Situationen erleben, in denen sie Unterstützung gebraucht hätten, weil sie es allein eben nicht hinbekommen dann müssten wir eigentlich klar sagen. Dann sehen wir: es mangelt an Unterstützung.
Es braucht auch soziale Kompetenz als Schulfach und nicht als Haifischbecken in dem jeder seine eigenen Erfahrungen machen muss. Und ich schreibe „muss“, weil Kinder keine Wahl haben. Sie können nicht wie eine erwachsene Person, die Mobbing im Job erfährt kündigen und gehen. Sie müssen jeden Tag zurück zu dem Ort, an dem sie Gewalt und keine Hilfe erleben.
Doch selbst, wenn es nicht um Mobbing oder akute Gewalt geht. Rücksichtsanahme auf Schwächere wird nicht gelehrt, Konflikte bleiben ungeklärt und Verhalten, ob von leisen unsicheren oder sichtbaren und lauten Kindern wird stigmatisiert.
Es fehlen Rückzugsräume und Möglichkeiten für die Kinder, denen es zuviel ist, die Pausen brauchen. Es braucht nicht nur einen Workshop über Mobbing wenn es das schon gibt. Sondern immer wieder das gemeinsame ausdiskutieren darüber, wie soziales Miteinander funktionieren kann.
Mir hätten ruhige Räume, Rückzug und die Chance nicht mittendrin sein zu müssen sehr geholfen. Vielleicht hätte ich auch Mathe viel früher verstehen können und ich hätte nicht auf eine 1:1 Nachhilfe warten müssen, wenn es erlaubt gewesen wäre nicht in einem Setting mit 30 Kindern zu sitzen und mich einem Thema widmen zu müssen, während mein Nervensystem total überladen und überreizt und angespannt ist? Und wenn soziale Kompetenzen gefördert und begrüßt würden statt darauf zu warten und nur einzugreifen, wenn es brennt hätte mir Vertrauen geschenkt, dass ich sicher bin und die Erwachsenen darum bemüht, dass es jedem Kind gut geht.
Fazit
Es hat lang gedauert, um zu erkennen, dass es auch einem Kind, das im Kontext Schule immer „gut funktioniert“ hat, das leise und angepasst schien, schüchtern, zurückgezogen, das jedoch die meiste Zeit über akzeptable bis gute Noten hatte, nicht gut ging in der Schule. Vor meinem inneren Augen sind inzwischen so viele Situationen und Erinnerungen, die ich heute – mit dem Wissen, das ich jetzt habe – so anders bewerte. Dass es normal war, dass die Lehrkraft in der ersten Klasse uns Kinder ständig angeschrien und unter Druck gesetzt hat, dass Lehrer in der weiterführenden Schule Spaß daran hatten einen an der Tafel bloßzustellen, zu sexualisieren und zu beschämen, dass Lehrer in Fächern, in denen ich nicht gut war nicht an meine Fähigkeiten geglaubt und mir mangelnde Intelligenz unterstellt haben, statt mich zu unterstützen, ins Lernen zu finden, dass Schule damals schon wie ein soziales Haifischbecken war und ich auch irgendwann Mobbingopfer…
Wie konnte ich so viele Jahre sagen ,ich bin gern in die Schule gegangen“. Nur, weil ich mich nicht dagegen gewehrt habe? Weil ich resigniert hatte und es normal war? Vielleicht einfach, weil es dazugehörte und genauso wie eine Ohrfeige eine normale Erfahrung war, die nicht hinterfragt wurde? Vielleicht, weil ich erst (oder schon) mit 20 Jahren begonnen habe mich selbst kennenzulernen und vorher schlichtweg gar nicht spüren konnte, wenn mir etwas nicht gut tat.Wäre es nicht toll, wenn Schulen Kinder lehren würden, sich selber zu spüren, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und gemeinsam Lösungen zu finden, um auch im Gruppenkontext soviel Raum für Individualität zu ermöglichen, das andere nicht davon beeinträchtigt werden. ich glaube fest daran, dass dies möglich wäre. Es braucht nur Strukturen, die es ermöglichen und Lehrer*innen, die ermutigt werden Beziehung und Bindung an erste Stelle zu setzen.
Was hättest du gebraucht?
Vielleicht hat dich mein Artikel inspiriert darüber nachzudenken, was du als Kind gebraucht hättest, um dich gut aufgehoben in der Schule zu fühlen und wie Lernen dir Spaß gemacht hätte. Welche Situationen hätten anders sein können dadurch? Kommentiere gern und teil es mit mir.
Vielen Dank für den Artikel. Er berührt mich. Könnten Teile doch von mir stammen. Ja, so schmerzhaft, dass Du nicht mal wusstest, dass die Schule Dir nicht gutgetan hat. Vieles kann ich so gut nachvollziehen. Ich hoffe, dass es noch mehr Menschen wie Dich und mich gibt. Dann hat gibt es eine Chance, dass sich Schule verändert. Viele Grüße Andrea
Ruhige Räume oder Rückzug – das klingt fast wie ein Märchen, das hätte ich als Kind in meinem Schulsystem niemals zu träumen gewagt, da dutften wir ja noch nicht einmal während der Stunde zur Toilette gehn. Die in den Pausen oft genug mein Schutzraum war…bis mich die Meute der anderen Mädchen dort gewaltsam aus der Türe herauszerrte…
Alle muszten unbedingt gleich gemacht werden damals, das war das System (für kleine Asperger wars nun mal nicht gemacht)
Ich hab die Schule oft geschwänzt, weil ich mich nicht getraute, hinzugehen und: nein. ich hab niemals behauptet, gern zur Schule gegangen zu sein!