Lesen und Schreiben lernen: Was ist phonologische Bewusstheit?

8. April, 2022 | Entwicklung, Spielen & Lernen

Wie du die phonologische Bewusstheit deines Kindes förderst und es damit spielerisch aufs Lesen und Schreiben lernen vorbereiten kannst

Viele Eltern fragen sich, wie sie ihr Kind beim Schreiben- und Lesenlernen bestmöglich unterstützen können. Eine zentrale Vorläuferfähigkeit ist die phonologische Bewusstheit – doch was bedeutet das genau, und wie und wann kann sie spielerisch gefördert werden?

Was ist phonologische Bewusstheit?

Phonologische Bewusstheit bezeichnet die Fähigkeit, die lautliche Struktur der Sprache zu erkennen und mit ihr zu spielen. Sie umfasst unter anderem Silben, Laute und Wörter unterscheiden zu können. Dabei hilft z.B.

  • Reime erkennen und bilden
  • Silbenbewusstheit: Wörter in Silben unterteilen (z. B. durch Klatschen)
  • Laute am Wortanfang und -ende unterscheiden
  • Wörter zu erkennen un in Einzellaute zerlegen (z. B. „M-a-m-a“)
  • Erkennen, ob ein Wort kurz oder lang ausgesprochen wird

Diese Fähigkeiten erleichtern später das Lesen- und Schreibenlernen. Sie hilft Kindern, die Verbindung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache herzustellen.

Wie hilft phonologische Bewusstheit beim Schreiben lernen?

Der Prozess des Schriftspracherwerbs, also des Schreiben-lernens läuft in mehreren Schritten ab. Die phonologische Bewusstheit ist nötig in der alphabetischen Phase, in der Laute Schriftzeichen zugeordnet werden. Um Schreiben zu lernen brauchen Kinder die Fähigkeit Phoneme (die kleinste Lauteinheit) zu Worten zusammenzufassen. Sie müssen dazu die Lautstruktur von Sprache verstehen – also über phonologische Bewusstheit verfügen. Phonologische Bewusstheit ist im Schriftspracherwerb die Voraussetzung die alphabetische Phase zu bewältigen. Erst danach kann die orthographische Phase folgen, in der vom schreiben was ich höre zur Beachtung von Rechtschreibregeln gewechselt wird.

Wie lernen Kinder schreiben und wie hilft phonologische Bewusstheit beim Schriftspracherwerb?

Der Erwerb der Schriftsprache verläuft in mehreren Phasen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die phonologische Bewusstheit, die insbesondere für die sogenannte alphabetischen Phase gebraucht wird. In dieser Phase lernen Kinder, gesprochene Laute (Phoneme) den entsprechenden Buchstaben und Buchstabenkombinationen (Worten) zuzuordnen.

Um Schreiben zu lernen, müssen Kinder die Lautstruktur der Sprache erfassen können. Sie müssen verstehen, dass Wörter aus einzelnen Lauten bestehen, diese identifizieren und schließlich in geschriebene Sprache umsetzen. Hierfür werden folgende Schritte angenommen:

In der logographischen Phase erkennen Kinder Wörter erstmal als Ganzes, oft anhand von Bildern. Sie speichern sie als solches ab. In der alphabetischen Phase lernen Kinder dann Laute und Buchstaben miteinander zu verknüpfen. Die phonologische Bewusstheit ist hier absolut essenziell und erst, wenn Kinder die alphabetische Phase sicher beherrschen können sie beim Schreiben lernen in die sogenannte orthographische Phase übergehen, in der sie dann Rechtschreibregeln verinnerlichen und Worte nicht mehr nur lautgetreu, sondern auch unter Berücksichtigung der Orthographie, also der Rechtschreibung richtig zu schreiben.

Phonologische Bewusstheit und Lesekompetenz

Damit Kinder lesen lernen, müssen sie Laute nicht nur identifizieren, sondern auch verändern und miteinander verbinden können – all das sind Kernfähigkeiten der phonologischen Bewusstheit. Studien zeigen, dass Kinder mit einer gut entwickelten phonologischen Bewusstheit Buchstaben leichter Lauten zuordnen und Wörter schneller entziffern können.

Diese Fähigkeit bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Lesestrategie: Kinder können unbekannte Wörter leichter entschlüsseln, indem sie sie in einzelne Lautbestandteile zerlegen. Auch das Textverständnis ist ausgeprägt, denn wer die lautliche Struktur der Sprache durchschaut, kann sich Wörter und ihre Wurzeln besser erschließen.

LRS/ Legasthenie und phonologische Bewusstheit

Studien legen nahe, dass eine schwach ausgeprägte phonologische Bewusstheit im Kindergartenalter mit einem erhöhten Risiko für Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten (LRS) oder Legasthenie zusammenhängt. Daher wird in vielen Förderprogrammen gezielt an der phonologischen Bewusstheit gearbeitet, um den Schriftspracherwerb zu erleichtern.

Während ein gezieltes Training im Vorschulalter als sinnvolle Prävention gilt, ist es umstritten, inwiefern dies bei älteren Kindern noch wirksam ist. Fest steht jedoch: Da die phonologische Bewusstheit eine zentrale Vorläuferfähigkeit für das Lesen- und Schreibenlernen ist, lohnt es sich, Kinder in diesem Bereich zu unterstützen – und das am besten spielerisch im Alltag.

Wie kann ich mein Kind unterstützen?

Gute Nachricht: Phonologische Bewusstheit kann spielerisch im Alltag gefördert werden – ganz ohne Druck. Du kannst Dein Kind nämlich spielerisch dabei unterstützen. Zum Beispiel mit einfachen Wortspielen wie „Ich packe meinen Koffer“, „Stille Post“ oder mit Reim-Spielen (auch sinnfreie Reimwörter bilden). Denn zur phonologischen Bewusstheit gehört es u.a. das Kinder Reime erkennen und bilden, Wörter zählen oder Silben erkennen (zb klatschen), sowie An- und Endlaute zuordnen können. Wichtig für Eltern: es soll Spass machen.

Hier ein paar einfache Ideen:

1. Reimspiele

Lautmuster und Klangmuster in der Sprache entdecken

  • „Ich packe meinen Koffer“ mit Reimwörtern (z. B. „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: eine Maus, eine Laus, eine Haus“)
  • (Unsinns-)reime erfinden („Das Pferd steht am Herd)

2. Silben klatschen, hüpfen oder trommeln

Worte in kleinere Einheiten, die Silben zerlegen zu können ist eine wichtige Fähigkeit für den Lese- und Schriftspracherwerb.

  • Klatscht gemeinsam die Silben von Wörtern (von „To-ma-te“ bis „Paw-Pa-trol“)
  • Spielt „Wie viele Silben hat das Wort?“ beim Essen oder Zubettgehen
  • verbindet Silbenspiele statt mit Klatschen mit Hüpfen.
  • „ich packe meinen Koffer“ und in den Koffer kommen nur Worte mit einer bestimmten Anzahl an Silben (z.B. „Ich packe meinen Koffer und nehme mit: ein La-ma, eine Sä-ge, meine Ma-ma“

3. Was hörst du?

  • „Wo hörst du ein ’sch‘ in einem Wort? Am Anfang, in der Mitte oder am Ende?“ (z. B. Schokolade, Muschel, Matsch)
  • „Welche Wörter beginnen mit dem gleichen Laut?“ (z. B. Maus, Mama)

4. Sprache verdrehen und mit Sprache spielen

  • Sprich Worte lautiert aus („K-a-t-z-e“) und lass dein Kind raten, was es ist
  • Tauscht Anfangslaute aus: („Lina“ wird zu „Tina“)
  • Lernt Zungenbrecher, Verse oder Reime
  • Lasst den Anfangslaut von Wörtern weg (wer kennt nicht das Lied Auf der Mauer auf der Lauer sitzt ne kleine W, bei dem in jeder Strophe ein Laut mehr weggelassen wird)
  • Tauscht Laute aus, zb in dem ihr in Worten jedes a durch ein u ersetzt (so wird das Lama zum Lumu, die Banane zur Bunune)
  • Ich sehe was, das du nicht siehst oder ich packe meinen Koffer und sehe nur bzw packe nur Wörter ein, die mit einem bestimmten Laut beginnen.

Wichtiger als früh Buchstaben erkennen und lesen zu können: Freude an der Sprache wecken

Vorläuferfähigkeiten zu fördern bedeutet nicht Unmengen an Material bereit zu stellen, sondern wie immer beim Lernen in Beziehung, im Kontakt zu sein. Lernen funktioniert nicht, wenn das Nervensystem gestresst ist und es braucht eine funktionsfähige Beziehung mit einem Gegenüber. Kinder lernen im Kontakt. So können Sprachspiele nicht nur das Lesenlernen fördern, sondern auch die Eltern-Kind-Bindung stärken.

Spielen mit der Sprache ist nicht nur eine Möglichkeit sprachliche Fähigkeiten zu fördern sondern auch Bindungs- und Beziehungselemente in Euren Alltag zu integrieren.

Manche Eltern glauben, dass ein Kind, das mit drei Jahren bereits Buchstaben erkennt, später automatisch besser oder gern liest und versuchen dies zu fördern. Tatsächlich sind aber Vorläuferfähigkeiten wie die phonologische Bewusstheit weitaus entscheidender als das frühe Lernen von Buchstaben. Wenn das Kind von sich aus Interesse an Buchstaben hat kann das natürlich unterstützt werden. Auch hier gibt es viele spielerische Möglichkeiten und da wir überall mit Buchstaben in Kontakt kommen braucht es meist nicht viel an Material. Buchstaben können in den Sand gezeichnet oder mit Knete geknetet werden, sie können auf Schildern oder in Büchern entdeckt werden.

Wenn Eltern die Bedeutung der phonologischen Bewusstheit kennen können sie diese spielerisch frühzeitig fördern. Im Mittelpunkt darf der Spass und die Freude beim gemeinsamen Entdecken und Begreifen der Sprache stehen. Ob beim auf den Bus warten gerätselt wird wo ein „sch“ zu hören ist: In Sch…okolade oder in Eissss-creme. Oder ob ihr euren Koffer irgendwann sogar mit Reimwörtern packt beim gemeinsamen Abendessen. Traut euch, spielt mit der Sprache, integriert Sprache in euren Alltag und habt vor allem Freude miteinander.

Fazit

Die gut entwickelte phonologische Bewusstheit ist der Grundstein für die spätere Lesekompetenz und den Schriftspracherwerb. Wer sein Kind dabei unterstützen möchte, kann beginnen Spiele, die die Fähigkeit der phonologischen Bewusstheit stärken in den Familienalltag zu integrieren. Und: hierbei ist es nie zu früh. Besonders Kindergartenkinder und Vorschulkinder profitieren von Übungen, die die phonologische Bewusstheit trainieren. Dafür braucht es keine speziellen Materialien oder Programme, um ein Kind auf das Lesen- und Schreibenlernen vorzubereiten. Nutzt stattdessen spielerische Möglichkeiten im Alltag beim gemeinsamen Entdecken und Begreifen von Sprache mithilfe von Lauten, Silben, Worten, Reimen oder Versen.

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Autorin

Seit über einem Jahrzehnt begleite ich Familien in verschiedenen Lebenslagen. Auf meinem Blog schreibe ich über Themen, die mich  beschäftigen und berühren. Von Bindungs- und Neurowissenschaften über Entwicklungspsychologie bis hin zu Stressprävention, Trauma und Burnout.

Es geht um alles, was Eltern und Fachkräfte bewegt – und was uns hilft, unsere Kinder gut ins Leben zu begleiten. Manchmal teile ich auch persönliche Einblicke aus meinem Alltag als Mutter von drei Kindern.

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