2. Quartal 2025: Gewalt im Gesundheitssystem oder männliche Machtstrukturen in einem „kranken“ System

24. Juni, 2025 | Rückblicke

Inhaltswarnung: In diesem Beitrag reflektiere ich meine Diagnose und die Erfahrungen, die ich in einem System voller männlicher Dominanz erlebe. Wie viel Gewalt im großen und kleinen im Gesundheittssystem passiert – tagtäglich – ist etwas, was mich schon lange beschäftigt und mitnimmt. Besonders Frauen und weiblich gelesen Personen erleben, dass sie nicht ernst genommen werden, dass sie nicht die Behandlung bekommen, die sie benötigen. Sie erleben Übergriffigkeit, Abwertung und Gewalt. Jeden Tag. Lies diesen Artikel nur, wenn es dir gut genug dafür geht. Wenn du merkst, dass du an einer Stelle dich getriggert fühlst, mach eine Pause und sorge gut für dich. Ich erwähne keine expliziten Gewaltdarstellungen, reflektiere vor allem.

Diagnose Brustkrebs. Leben im Wartezustand. Ein persönlicher Einblick

Mein Jahr 2025 ist nicht gerade gut gestartet. Anfang Januar tastete ich einen Knoten in meiner Brust. Noch in derselben Woche sass ich bei der Frauenärztin, die mich beruhige und fand, dass alles sich gut anfühlen würde. Der Knoten wäre verschiebbar und auch, dass ich Schmerzen hatte fand sie eher positiv. „Nur zur Sicherheit“ und um es schwarz auf weiß zu haben, dass „alles in Ordnung“ ist schickte sie mich zu Mammographie und Sonographie. Auf den Termin in der Radiologie habe ich dann über zwei Monate warten müssen. Mitte März war es soweit und noch während derArzt den Schall machte und ohne abzuwarten, dass ich mich dafür in einer angenehmeren, würdevolleren bekleideteren Position befand, fand er es angebracht mir zu sagen, dass er das ganze für absolut bösartig halten würde. Taktgefühl und Ärzte…. Ich brauche nicht erwähnen, dass ich die Praxis in einem Schockzustand verließ. Die nächsten drei Tage verbrachte ich in einem Freeze Zustand bevor ich am dritte Tag erwachte und nicht mehr aufhören konnte zu weinen.

Ich glaube fest daran, dass es möglich ist, Nachrichten und auch Diagnosen (wobei zu dem Zeitpunkt noch nicht mal eine Diagnose gestellt werden konnte, sondern er nur einen Verdacht hätte geäußert werden können) auf eine Weise weitergegeben werden können, die Menschen nicht in einen Zustand befördert, in dem sie überlegen vor den nächsten Zug zu springen. Und ja, auch dort bin ich gewesen. In der Traurigkeit darüber, dass ich auf der Straße 1 Minute zu früh um die Ecke gebogen war, in der ein Laster mit einer Geschwindigkeit um die Kurve bog, dass er mich fast erwischt hätte. Bin ich die nächsten Tage wieder dort spazieren gegangen? Ja, das bin ich.

Von April an verbrachte ich meine Zeit jedenfalls in der Klinik – für diese und jene Untersuchung. Eine Biopsie wurde angefertigt, danach schickte man mich zu einem Knochenszintigramm und einem CT und einem MRT und ich weiß nicht was noch alles. Ich fühle mich absolut durchleuchtet. Und absolut am Ende. Die Meinung des Radiologen wurde bestätigt: Es ist Brustkrebs, tripple negativ. Das klingt gleich doppelt sch… sorry, nicht doppelt sondern dreifach.

Inzwischen hat die Chemoterapie begonnen und wird mich das restliche Jahr über „beschäftigen“. Danach soll ich dann noch operiert werden.

Und was ist mit mir? Ich sitze mittendrin und habe nicht nur Angst davor, wieviel von mir übrig sein wird in einigen Monaten sondern ich habe auch das Gefühl, dass mir sämtliche Freiheiten über mein Leben genommen werden. Gefangen in einem Gesundheitssystem, das voraussetzt, dass ich happy 6 Stunde in der Klinik warte, bis um 16Uhr dann mein 11uhr Termin für ein MRT stattfindet – oder im Wartezimmer 1,5 Stunden für 5 Minuten Blutabnahme sitze – oder 6-8 Wochen überhaupt auf einen Termin warte. Und gleichzeitig mich unter Druck setzen lassen muss, dass ich nicht mal nachdenken darf, was ich überhaupt will, weil ich am besten gestern mit allem schon hätte beginnen sollen. Ich fühle mich wie ein Spielball, der hin und her geworfen wird, nicht wie ein Mensch.

Gaslightning an der Tagesordnung

Viele Erfahrungen, die ich mit Ärzten erlebt habe (ich schreibe hier auch bewusst im generischen Maskulinum, weil die unguten Erfahrungen zu 90% immer mit männlichen Ärzten passiert sind) sind verstörend bis traumatisierend gewesen. Zusätzlich zu der Tatsache, dass es schlimm genug ist, eine solche Diagnose zu erhalten.

Mit der Ausrede Körper gesund machen zu wollen hinterlassen Ärzte die verbrannte Erde der Psyche ihrer Patient*innen. Sie agieren hochgradig übergriffig und gewaltvoll, misogyn und respektlos.

Inzwischen glaube ich, dass es Teil der Ausbildung von Medizinern sein muss, dass sie eine solche abwertende Haltung erlangen. Es ist anstrengend und unnötig, sich gegen all das wappnen zu müssen, während man versucht damit klar zu kommen, offenbar eine potenziell tödliche Krankheit zu haben.

Gaslightning steht sowieso an der Tagesordnung. Das nicht ernst genommen werden deiner körperlichen Symptome, dass dir abgesprochen wird, dass dein Erleben real ist und die Täter-Opfer-Umkehr in einem System, das eigentlich dafür da sein sollte, dich zu stärken und aufzufangen, ist unfassbar. Beschämt zu werden und würdelos behandelt zu werden – all das „gehört offenbar dazu“. Und das sollten es nicht. Schließlich handelt es sich hierbei um Fachkräfte, die mit Menschen umgehen, die wissen sollten, wie Nervensysteme funktionieren und deren Job es ist Menschen auf dem Weg zwischen Krankheit und Gesundheit menschlich, zugewandt und fürsorglich zu begleiten. Es ist nicht ihr Job ihnen diese Menschlichkeit und ihre Individualität abzusprechen. Nein, das ist Gewalt.

Gewaltandrohung gegenüber Kindern, die nicht sofort mitarbeiten

Es sind nicht die ersten Male, die ich Übergriffigkeit bei Ärzten erlebt habe. Leider. Denn auch eines meiner Kinder war mit einer chronischen Erkrankung immer wieder in ärztlicher Behandlung und bis ich endlich in einer Praxis gelandet bin, wo der Umgang achtsam und freundlich war, hatten wir einiges durch. Einiges an Gewaltandrohungen gegen ein zweijähriges Kind. Und eine Menge abwertender bis angriffslustiger Kommentare gegen „die Mutter“, die nicht ok damit war, dass ein Arzt, der nicht mal zwei Sätze zu einem Kind mit Schmerzen sagt, ihm stattdessen direkt Gewalt androht, wenn es nicht sofort „ordentlich mitmacht“.

In einem Aufwachraum mit meinem Kind sitzend, musste ich mit anhören, wie eine Krankenschwester einem allein aufwachenden, verängstigt weinendem 1 jährigen Kind „Schläge auf den Poppes“ androhte, wenn es nicht aufhören würde zu weinen. Wie krank kann dieses System sein? Wenn du dein Kind dagegen nicht alleine lässt, es zum aufwachen, weil es das braucht kuschelst, wirst du direkt als Helikopter Mutter abgestempelt und belehrt.

Das Schlimme ist: Für Beschwerden fehlt einem die Kraft, wenn es gerade darum geht, das eigene Kind zu stärken und für es einzustehen – oder selbst gebeutelt von der Realität mit frischer Diagnose überhaupt erstmal aus den Gedanken an Suizid oder der Todesangst wieder auszusteigen.

Und noch mehr Gewaltandrohung

Es ist ein Unding, wie Menschen behandelt werden. Und unfassbar, wie wenig Ahnung Ärzte davon haben, wie das Nervensystem funktioniert und was es braucht, damit sich Menschen sicher fühlen. Und dann bleibt da immer noch das Macht-Thema. Bei einigen scheint es weniger die Unfähigkeit und das Unwissen zu sein, sondern eher die Tatsache, dass es ihnen Spaß macht Macht auszuüben – vornehmlich auf weiblich gelesene Menschen. Nicht alles habe ich selbst erfahren, einiges auch „nur“ als nebenstehende miterlebt. Denn ich sitze nicht allein im Wartezimmer oder stehe auf dem Flur.

Wenn dort z.B. ein männlicher Arzt, der einen guten Kopf größer ist als seine Patientin drohend auf sie zukommt, sich fünf Zentimeter vor ihr körperlich noch größer werdend aufbaut, ihr den Weg versperrt und sie daran hindert weitergehen zu können. Wenn er dabei auf sie herabblickt und sie deutlich verbal bedroht – dann ist das nichts anderes als Gewalt. Es ist eine Schande, dass es solche Ärzte gibt. Es ist eine Schande, wie Patientinnen behandelt werden. Und es ist eine Schande, dass es keine Möglichkeit gibt, das zu ändern, weil alle, die auf die Hilfe des Gesundheitssystems angewiesen sind, in einer ohnmächtigen Lage sind. Besonders bei Frauen und weiblich sozialisierten Menschen stellt sich sehr schnell ein fawn Reflex ein, der versucht mögliche Angreifer zu beschwichtigen und freundlicher zu stimmen, um schlimmeres zu verhindern. Das ist ein Überlebensprogramm, dass da abläuft. Diese Frauen sind nicht freundlich, weil sie es wollen – sondern weil sie müssen. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich gern kotzen würde bei all dem. Bei letzterem hilft mir ja jetzt die Chemo. Doch sie hilft nicht dabei, etwas zu verändern in einem System, in dem patriachale Strukturen und männliches Dominanzverhalten belohnt werden.

Was hilft dabei, etwas zu verändern in einem System, in dem patriachale Strukturen und männliches Dominanzverhalten belohnt werden.

Von Diskriminierung, Glücksspiel und Fachkräften, die am System zerbrechen

Ich hätte mir gewünscht, dass ich wenigstens ernst genommen und respektvoll behandelt werde. Beides ist als Frau im Gesundheitssystem jedoch ein Glücksspiel. Drückt mir die Daumen – dass ich gesund aus dieser Sache hervorgehe. Sowohl, was den tripple negativen Krebs betrifft, dass ich die Therapie und OP gut überstehe – als auch dass ich danach nicht erstmal in Psychotherapie muss, um aufzuarbeiten, wie als Mensch mit einem umgegangen wird.

Ob du physisch und psychisch gesund aus dem System herauskommst scheint abhängig davon, an wen du gerätst. Abhängig davon, ob du als Mann oder Frau angesprochen wirst, abhängig auch davon, ob du zu einer marginalisierten Gruppe gehörst. Dazu gibt es viele Studien, die belegen, dass die medizinische Versorgung nicht nur auf weißen CIS Männern ausgelegt ist, sondern dass diejenigen, die nicht zu dieser Gruppe gehören schlechtere oder auch falsche Behandlungen bekommen, was tendenziell lebensgefährlich ist. Letztlich ist das was passiert nichts anderes als Diskriminierung.

Von wegen die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie wird jeden Tag angetastet – in so vielen unserer Systeme, nicht nur im Gesundheitssystem. Und mit diesem Beitrag mache ich einen Bereich davon sichtbar. Einen, in den ich nie so tief eintauchen wollte. Es ist mein persönliches subjektives Erleben. Es ist nicht übertragbar. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, die wundervolle Arbeit leisten. Ich hoffe, ich darf noch einigen davon begegnen. Mich aufgehoben fühlen. Ernst genommen. Fachlich gut begleitet. Ich danke allen, die jeden Tag dafür aufstehen und zur Arbeit gehen. Um die Welt besser zu machen. Diejenigen, das zeigt sich auch in anderen Systemen, sind jedoch die, die am schnellsten ausbrennen, den Beruf wechseln müssen oder selber am System zerbrechen. Nicht, weil sie nicht stark genug sind, sondern weil das System krank ist und krank macht.

P.S. Das Foto stammt von Mitte Juni 2025 und ich habe es als Beitragsbild gewählt, weil alles deprimierend genug ist und ich wenigstens ein halbwegs freundliches Bild auf die Welt zu behalten versuche. So schwierig es auch ist auf die Welt zu gucken gerade. Im großen, wie im kleinen.

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Autorin

Seit über einem Jahrzehnt begleite ich Familien in verschiedenen Lebenslagen. Auf meinem Blog schreibe ich über Themen, die mich  beschäftigen und berühren. Von Bindungs- und Neurowissenschaften über Entwicklungspsychologie bis hin zu Stressprävention, Trauma und Burnout.

Es geht um alles, was Eltern und Fachkräfte bewegt – und was uns hilft, unsere Kinder gut ins Leben zu begleiten. Manchmal teile ich auch persönliche Einblicke aus meinem Alltag als Mutter von drei Kindern.

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