Greift dein Baby nach kleinen Krümeln und Gegenständen? Dann entwickelt es gerade eine Fähigkeit, die später fürs Schreibenlernen entscheidend ist. Der Pinzettengriff ist ein wichtiger Meilenstein in der motorischen Entwicklung – und weit mehr als nur eine niedliche Fingerübung. Erfahre, warum er für die Beikost, die Stifthaltung und viele Alltagsfertigkeiten so bedeutend ist.
Was ist der Pinzettengriff?
Mit dem Pinzettengriff ist dein Baby in der Lage, Dinge mithilfe von Daumen und Zeigefinger zu greifen. Auch – und besonders gerne sind das ganz kleine Dinge. Spätestens dann ist es Zeit, die Perlen des Geschwisterkindes vom Boden aufzulesen und Kleinteile, die es nicht in die Finger (und von dort in den Mund) kriegen soll, zu verräumen. Dabei ist diese Faszination für Kleinteile und die Entwicklung der Greiffähigkeit mit dem Pinzettengriff ein im ersten Lebensjahr stattfindender wichtiger Schritt in der Entwicklung der Feinmotorik. Ja, Babys sind erstmal Grobmotoriker. Statt die Katze zu streicheln patschen sie ihr ungeschickt eine. Genausowenig werden Babys geboren, die schon mit Besteck essen könnten oder eine perfekte Stifthaltung haben.
Diese scheinbar einfache Bewegung ist ein entscheidender Meilenstein in der motorischen Entwicklung, da sie viele alltägliche Fähigkeiten ermöglicht.
Wann entwickelt sich der Pinzettengriff?
Die Entwicklung des Pinzettengriffs erfolgt in der Regel zwischen dem 8. und 12. Lebensmonat. Anfangs greifen Babys Objekte mit der ganzen Hand, dann nutzen sie den Scherengriff, ein Vorläufer des Pinzettengriffs, bei dem kleine Dinge bereits zwischen Daumen und der Seitenfläche des Zeigefinger gegriffen werden. Mit zunehmender Reifung der Feinmotorik lernen sie, Zeigefinger und Daumen gezielt zu koordinieren und die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger zusammenzuführen und wieder zu öffnen, sowie Kleinteile mit den Fingerkuppen aufzunehmen, festzuhalten und wieder fallenzulassen– der Pinzettengriff entsteht.
Warum ist der Pinzettengriff so wichtig?
Der Pinzettengriff ist eine grundlegende Voraussetzung für viele weitere Fähigkeiten:
- Beikostreife: Besonders für Eltern, die Baby Led Weaning (BLW) praktizieren, ist es wichtig den Pinzettengriff zu kennen. Sobald ein Baby kleine Lebensmittelstücke sicher greifen und zum Mund führen kann, ist das ein Zeichen und Voraussetzung für die Beikostreife.
- Selbstständigkeit im Alltag: Viele Handgriffe im Alltag, wie das Greifen, Hochheben, mit der richtigen Dosis an Kraft festhalten und auch wieder loslassen von Spielzeug oder Gegenständen, das Blättern in Büchern, das An- und Ausziehen, erfordern eine gut entwickelte Fingerfertigkeit. Zähne putzen, malen, anziehen, spielen, essen, aufräumen – für all das brauchen wir unsere feinmotorischen Fähigkeiten
- Vorbereitung auf das Schreibenlernen: Der Pinzettengriff bildet eine wichtige Grundlage für eine korrekte Stifthaltung. Kinder, die Schwierigkeiten mit der Stifthaltung haben, profitieren oft von spielerischen Übungen zur Förderung des Pinzettengriffs.
Wie kann der Pinzettengriff gefördert werden?
Montessori-Pädagogik und andere entwicklungsfördernde Ansätze bieten viele spielerische Möglichkeiten, um den Pinzettengriff zu stärken:
- Sortierspiele mit kleinen Objekten: Erbsen, Linsen oder Perlen mit den Fingern aufheben und sortieren.
- Pinzetten oder Zangen nutzen: Mit einer Kinderpinzette oder Küchenzange kleine Gegenstände greifen.
- Kneten und Formen: Knete oder kleine Kugeln aus Teig rollen, um die Fingerkraft und Präzision zu fördern.
- Steck- und Fädelspiele: Perlen auffädeln oder kleine Gegenstände in passende Löcher stecken.
- Auf und zumach-Spiele: Spielzeug mit Knöpfen, Reissverschlüssen, kleine Türen und verschiedene Verschlüsse und Griffen
Entwicklungsschritte zum Greifen lernen
- Dein Baby führt die Hände vor dem Körper zusammen
- Es kann Gegenstände mit der ganzen Hand greifen
das bewusste oder gezielte Loslassen von Gegenständen ist ein eigener Entwicklungsschritt. Wenn du deinem Baby etwas in die Hand drückst, eine Rassel zb. kann es diese zwar festhalten aber noch nicht wieder loslassen. Hier braucht es noch Hilfe, rechtzeitig Pausen einzulegen, um von den dabei entstehenden Reizen nicht überfordert und überstimuliert zu werden.
- Es kann Gegenstände von der einen Hand in die andere geben
- Mit dem Scherengriff kann es Gegenstände zwischen Daumen und Zeigefinger greifen, allerdings noch nicht mit den Fingerspitzen
- Mit dem Pinzettengriff kann dein Baby gezielt Dinge mit den Fingerspitzen von Zeigefinger und Daumen greifen
- Der Pinzettengriff wird perfektioniert (dann auch Zangengriff genannt), wenn dein Kind kleine Gegenstände mit gekrümmten Fingerspitzen Dinge zwischen Daumen und Zeigefinger greifen kann
Entwicklungsverzögerungen frühzeitig erkennen
Wenn Eltern sich Sorgen über die Motorische Entwicklung ihres Kindes machen oder in der Bewegungs- oder Greifentwicklung keine Versuche erkennbar sind ist eine Abklärung sinnvoll. Erste Anlaufstelle ist immer die Kinderärztin oder der Kinderarzt, die ggf weitere Untersuchungen oder Abklärungen einleiten und danach Fördermassnahmen oder Therapien empfehlen kann. Ist das Kind in der Krippe können auch Pädagog*innen erste Rückmeldung geben, wie sie das Kind erleben und was sie beobachten. Nach erfolgter Diagnostik können diese ebenfalls über die therapeutischen Bemühungen informiert werden, um diese im Rahmen der Betreuung zu unterstützen und Entwicklungsfortschritte besser im Auge behalten zu können.
Lass mir Zeit – wie Eltern die Balance zwischen Sorge und Ruhe bewahren finden und ihr Kind begleiten können ohne es zu überfordern
Die häufigsten Fragen, die Eltern gestellt werden sind die danach, was das Kind schon alles kann. Schläft es schon durch? Kann es schon krabbeln? Sagt es schon seine ersten Worte? Und Eltern nehmen es als Versagen ihrerseits auf, wenn das eigene Kind „noch nicht“ soweit ist, wie die Erwartung der Fragestellenden. Dass diese häufig an der Realität vorbei viel zu hoch sind oder nicht berücksichtigen, dass der Zeitraum, in der eine Entwicklung stattfindet weitaus grösser ist und es eben auch völlig normal ist, wenn ein Baby immer noch auf dem Rücken liegt und zuguckt, wie die anderen Babys um es herum sich alle schon auf den Bauch drehen können. Der Druck und auch die Sorge, die Eltern spüren kann sie dazu verleiten der Entwicklung ihres Kindes auf die Sprünge zu helfen. Dabei sagen Studien, dass es sich bei der Bewegungsentwicklung störend auf diesselbe auswirkt – wenn Kinder z.B. hingesetzt oder auf die Füße gestellt werden, obwohl sie diese Position noch nicht aus eigener Kraft erreichen können.
Sich nicht von Bemerkungen verunsichern zu lassen und gleichzeitig nicht zu verpassen, falls das eigene Kind doch Unterstützung in Form von Frühförderung oder Therapie benötigen sollte ist eine Herausforderung. Doch nicht unlösbar. Es macht Sinn, wenn Eltern sich Ansprechpartner*innen für ihre Sorgen suchen und die Entwicklung ihres Babys und Kindes bei der nächsten U Untersuchung ansprechen und ihre Fragen adressieren. Gleichzeitig ist es gut wahrzunehmen, dass da vielleicht auch ein Quentchen Ungeduld vorhanden ist oder die Idee, dass wir als Erwachsene unseren Kindern diese Dinge doch beibringen müssten. Woher sonst sollten sie es denn lernen, wenn nicht von uns? Und hier kann helfen sich mit der Bewegungsentwicklung auseinanderzusetzen. Denn Babys brauchen keinen Anreiz von außen – ein gesundes Baby versucht wieder und wieder sich zu drehen, vorwärts zu kommen oder aufzustehen und ein paar Schritte zu laufen und zwar so lange, bis es das kann. Babys und Kinder sind neugierig und wollen die Welt für sich entdecken. Die Fähigkeiten die sie dazu benötigen entwickeln sie in ihrem eigenen Tempo. Manche Kinder stehen auf und fallen hin und tun das so lange, bis sie es können. Andere bleiben in der sicheren Position ohne dass sie sich wie in diesem Beispiel am freien Gehen versuchen – und irgendwann laufen sie dann gefühlt einfach los. So lange müssen Eltern es aushalten, dass ihr Kind das ist, dass noch nicht läuft.
Was Eltern tun können, ist ihr Kind zu beobachten und wahrzunehmen, womit es sich gerade beschäftigt und was in seiner Entwicklung wohl gerade dran ist und dann spielerische Anreize zu schaffen und die Umgebung so zu gestalten, dass es darin Möglichkeiten findet, die es dabei unterstützend en nächsten Entwicklungsschritt zu gehen. Pikler und Montessori haben hier viele wunderbare Beispiele, die Eltern Inspirationen geben können. Wichtiger als das ist jedoch liebevolle Zuwendung und Fürsorge und das Vertrauen zu entwickeln, dass das eigene Kind seinen Weg gehen wird – und wir es dabei begleiten, indem wir da sind. Ohne zu überfordern, ohne Druck dabei zu bleiben und dem Kind den Raum zu geben, den es braucht. Spielerische Anregungen und gemeinsame Erlebnisse, die sich bindungsfördernd auswirken unterstützen mehr als mit dem Kind zu üben.
Fazit
Der Pinzettengriff ist ein bedeutender Entwicklungsschritt in der Entwicklung. Er spielt eine Schlüsselrolle bei der Beikosteinführung, unterstützt die Selbstständigkeit und legt den Grundstein für das spätere Schreibenlernen. Ein gesundes Baby wird im Lauf des ersten Lebensjahres die Fähigkeit entwickeln Dinge zu greifen – Eltern müssen dies nicht von außen anstossen oder fördern. Wer sich unsicher ist, ob in der Entwicklung des Kindes alles in Ordnung ist, spricht diese Sorgen und Beobachtungen am besten bei der Kinderärztin an.
Ein gesundes Kleinkind, das wächst und spielt und sich neugierig seine Welt entdeckt nutzt und übt damit auch alle Fähigkeiten, die es hat und braucht. Im Normalfall braucht es keine extra Förderung. Auch, wenn es manchmal eine Geduldsprobe für Eltern sein kann, zu erleben, wie andere Kinder schon xyz können. Wenn das eigene Baby das letzte ist, das sich dreht oder die ersten Schritte macht ist das nicht immer einfach auszuhalten. Und doch lohnt es sich, Kindern diesen Zeit- und Spielraum – im doppelten Sinn der Bedeutung von Spielraum – zu lassen. Denn ja, Babys und Kinder entdecken und lernen die Welt spielerisch kennen und entwickeln dabei Fähigkeiten, die sie benötigen, um sich in ihr zu bewegen.
Wenn Kinder älter werden können Eltern die Freude und Neugier ihrer Kinder nutzen, um sie auf spielerische Weise dabei zu unterstützen ihre Feinmotorik zu verbessern. Einfach, in dem sie mit ihnen spielen und Materialien und Spiele nutzen, für die das Kind diese Fähigkeit einsetzen muss. Besonders vor dem Schritt zur Schulreife, wenn es vom Kindergarten ins Vorschuljahr oder in die Schule geht, kann es sinnvoll sein, die dort geforderten Fähigkeiten, wie mit der Schere schneiden zu können oder einen Stift richtig zu halten, zu unterstützen. Pädagog*innen im Kindergarten sind hier Ansprechpartner*innen für Eltern, die im Blick haben, ob ein Kind hier weitere Unterstützungsformen benötigt oder wie Eltern helfen können.
War dir bewusst, wie bedeutend der Pinzettengriff in der Entwicklung von Babys und Kindern ist? Schreib mir gern deine Erfahrung oder Fragen und hinterlasse Tipps und Ergänzungen, die unbedingt noch erwähnt werden sollten.
Weiterführende Links
Buchtipps
- Lass mir Zeit, Emmi Pikler
- Bewegungsentwicklung, Hengstenberg
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